Kommentar zu den Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes von Berlin vom 20. Dezember 2011 (VerfGH 28/11, 28 A/11; 29/11, 29 A/11 über die Beschlüsse des OVG Berlin-Brandenburg vom 12. Januar 2011 – OVG 5 NC 53.10 und 51.10 –) in Auszügen (der vollständige Kommentar ist veröffentlicht im DVBL 2012):

 

Mit seinen Entscheidungen vom 20. Dezember hat der Verfassungsgerichtshof von Berlin die bisherigen Zulassungsbeschränkungen aufgehoben.

Wie auch durch das Bundesverfassungsgericht, auf welches der Berliner Verfassungsgerichtshof sich ausdrücklich stützt, wird auch in dieser Entscheidung betont, dass allen, die die Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, ein Anspruch auf Zulassung “ zum Hochschulstudium seiner Wahl“ zusteht. Von diesem Grundrecht ausgeht werden die strengen Voraussetzungen und Hürden für die inzwischen bundesweit fast flächendeckend eingeführten „NC“ Zulassungsbeschränkungen dargestellt. Die Notwendigkeit einer Festlegung objektivierter und nachvollziehbarer Kriterien für die Kapazitätsermittlung durch die zuständigen Gesetzgeber stellt die Entscheidung ebenso vollständig da, wie die Anforderungen an die Übertragung solcher Kompetenzen an die Verordnungsgeber.

Der Verfassungsgerichtshof sieht es als notwendig an, die verfassungsrechtlich mögliche Vorgehensweise ausdrücklich festzuhalten, in dem festgestellt wird:

„Insbesondere dann, wenn sich – wie hier – verschiedene Grundrechtspositionen in einem Spannungsverhältnis gegenüberstehen, ist am ehesten der Gesetzgeber, gegebenenfalls auf einer geeigneten gesetzlichen Grundlage der Verordnungsgeber, dazu berufen, für alle Beteiligten die Grenzen des Zumutbaren festzulegen und die damit verbundenen Wertungen und Abwägungsentscheidungen zu treffen (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 54, 173 <192 f.>).“

Da es in Berlin seid der Einführung der sog. gestuften Studiengänge (Bachelor – Master) an den geforderten Grundlage vollständig fehlt, hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg eine Rechtsprechung der eigenständigen verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Zulassungszahlen entwickelt, die der VerfGH nun vollständig aufgehoben hat, mit der Folge, dass in Berlin bis zur Umsetzung der in den Entscheidungen dargestellten Schritte keine Zulassungsbeschränkungen gelten. Die zuletzt von OVG eingeführte Begründung, ohne Zulassungsbeschränkungen müsse von einem quasi Staatsnotstand ausgegangen werden, da ohne solche die „Funktionsfähigkeit der Universitäten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium“ nicht gewährleistet sei, kassierte der VerfGH bereits in der Stufe der Beschreibung, ohne auf eine möglich Abwägung dieses Konstruktes gegenüber den Grundrechten der StudienbewerInnen noch eingehen zu müssen.

Es lägen keine Anhaltspunkte für die Befürchtung des OVG vor. Diese Feststellung, ausdrücklich vor dem Hintergrund noch vorhandener Studierender in den bisherigen einheitlichen Studiengängen getroffen, führte zum vollständigen Verdikt gegen die bisherigen Zulassungsbeschränkungen für die gestuften Studiengänge in Berlin.

Die Entscheidung wird als – es sei erlaubt so hoch zu greifen – mustergültige Verfassungsgerichtsentscheidung präsentiert. Gerade vor dem Hintergrund einer Entscheidung in einer Spezialdisziplin wird wie im Examensklausurenkurs vom Maßstab des Grundrechtsschutzes her geprüft. Die Sicht auf Verfassungsrealitäten wird so deutlich nicht durch die zum Spezialfach avancierten Berechnungsoperationen im Bereich der tiefgreifendenen Umstrukturierungen der Hochschul- und Bildungsorganisation und die – nicht nur in Berlin – längst im Freistil operierenden Verwaltungsjustiz verstellt.

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Der Verfassungsgerichtshof setzt die gebotene Korrektur des justiziellen Umgangs mit den Phänomenen der Ökonomisierung der Hochschulausbildung mit den aktuellen Beschlüssen fort. …..

Der Umstrukturierung der Hochschulausbildung liegt eben keine dogmatische Neuausrichtung des Grundrechtsverständnis zugrunde, sondern vor allem ein Wandel im verfassungsprägenden Vorverständnis der Akteure.

Die bis vor kurzer Zeit postulierte Behauptung, es gäbe heute anscheinend keinen Bedarf mehr an gut ausgebildeten Hochschulabsolvent/innen – jedenfalls nicht aus Sicht der Hochschulen und nicht in dem Umfang wie es Abiturient/innen – tritt der Berliner Verfassungsgerichtshof erneut deutlich entgegen. Aber auch vor dem Hintergrund der deutlich anwachsenden Hochschulfinanzierung für neue Studienplätze stellt die Entscheidung keinen Schlussstein in einem auch rechtspolitisch stark umkämpften Regelungsbereich dar.

 

Nunmehr wurde diese zweite Korrektur notwendig, die einem „Leerlaufen des Grundrechtsschutzes vorbeugen sollte, indem die Gerichte zwar prüfen – und zwar durchaus umfangreich, etwas anderes zu behaupten, würde ihnen nicht gerecht werden – aber dabei den politischen Wünsche der Hochschulen mehr als geboten und zulässig aufgeschlossen gegenüberstand, so dass in der Sache eine Grundrechtsschleifung bewirkt wurde, indem es die Anforderungen an die Rechtfertigungsgrundlagen absenkte

Der Gesetzgeber hat dazu sehenden Auges beigetragen, in dem er einerseits die Anforderungen und Erwartungen an die Hochschulen verändert, meist gesteigert hat, gleichzeitig aber die Umsetzung im Wege der Hochschulfreiheit gleich mit abgegeben hat. Er hat sich – speziell in Berlin – damit begnügt zuzugucken, wie die Hochschulen durch Absenkung der Kapazitäten und Selbstschleifungsprozesse sowie durch die abschreckende, weil prozesskostenrisikoerhöhende Beauftragung von Rechtsanwälten ihre Türen schlossen und allein auf eine vertragliche Festsetzung von Zielwerten als Grundlage von Budgetierungsentscheidungen gesetzt.

 

Die in der aktuellen Entscheidung festgeschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen für die Festsetzung der Werte für die Berechungen der Zulassungszahlen durch die Gesetz- und Verordnungsgeber dürfte in den weiteren Debatte um die Erhöhung der Studienplatzzahlen noch eine wichtige Rolle spielen…